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    REZENSIONEN 
      
    Maria Stein
     
      Was bedeutet schon Wahrheit? 
        Der neue Roman von Monika Helmecke "Das Duell" 
         
      - Eine Schweizer Bekannte fragte mich neulich in einem Brief, wie das denn gewesen sei in
        der DDR. Was wäre für mich das Schlimmste gewesen? Und welche Stärken hatte das System?
        Sie selbst hätten durch die Medien damals sicher nur die Hälfte mitbekommen und
        verstanden.  Ich habe mich gefreut, dass es noch Interesse an dieser unserer
        jüngsten Geschichte gibt. Ist es eventuell symptomatisch, dass dieses Interesse aus dem
        Ausland kommt? Vielleicht sollte man den neuen Roman von Monika Helmecke übersetzen? Den
        habe ich meiner Bekannten nämlich in meiner Antwort empfohlen zu lesen.
 
      - Monika Helmecke bringt also in diesem neuen Buch erneut ein Thema an die
        Öffentlichkeit, dessen diese zumindest in Deutschland eher müde geworden zu sein
        scheint, um nicht zu sagen überdrüssig: "Was kann der zigste Wenderoman schon
        noch Neues bringen??" Nun, ich meine, es lohnt sich, genauer hinzusehen.
 
      - "Sie stehen sich gegenüber. Mit ausgestrecktem Arm. In der Hand hält jede eine
        Pistole. Sie zielen aufeinander. Rosa zielt mitten zwischen Elisabeths Augen. Elisabeth
        auf Rosas Brust." So beginnt mysteriös und vielversprechend das Taschenbuch. Es
        ist eine spannende Geschichte, die da erzählt wird, qualitätsmäßig überzeugend und
        unterhaltend. Überraschungsmomente sind gut gelungen, besonders durch die mehrmalige
        gekonnte Umkehr der Situationen.
 
      - Zwei ältere, einsame Frauen begegnen sich im Nachwende-Osten-Deutschlands, beim
        "Tischtennis für Senioren", sind sich sofort sympathisch, werden gute Bekannte
        und fliegen gemeinsam für eine Woche in den Urlaub ins ferne Südspanien. Die ideale Art
        und Weise, sich näher kennenzulernen und vielleicht Freundschaft zu schließen, so meint
        man. Wenn da nicht  das "Spiel" gewesen wäre: der anderen aus dem Leben
        zu erzählen, ohne unterbrochen werden zu dürfen. Die Geschichten der beiden Frauen sind
        der eigentliche Inhalt des Buches. Beim Lesen kann man den Beiden  die das selbst
        beunruhigt feststellen  nur zustimmen: es ist eine Art Sog, in den man hineingerät,
        in eine auf ziemlich böse Weise wieder lebendig gewordene Vergangenheit, deprimierend in
        ihrem Schwarz-Weiß-Kontrast. So wirkt der spätere Teil, wo Lügen gestanden werden und
        beide ihr eigenes Versagen endlich zugeben, wirklich befreiend auf den Leser. Aber für
        die Heldinnen selbst ist es zu spät, sie können sich nicht aus ihrer Verstricktheit
        befreien, zumal unwiderruflich tötende Entscheidungen getroffen sind, sowohl in ihrer
        Vergangenheit als auch in der unmittelbaren Gegenwart. Ein Schuss ist gefallen, ein Mensch
        schwer verletzt oder tot, es gibt kein Zurück. Dass dieser Schuss und die vorher und
        nachher stattfindenden Begegnungen mit Einheimischen nicht ganz überzeugend wirken, ist
        sicherlich die Schwäche des Romans. Diese Unwahrscheinlichkeit spielt aber im Grunde
        keine Rolle, ja, sie trägt sogar zur eigentlichen Aussage des Buches mit bei. Die
        Realität dieser Tat (die fast einzig Fassbare des ganzen Romans) wird durch den Blick der
        beiden Frauen, dem der Leser nicht anders als folgen kann, an den Rand geschoben und
        verbleibt auch da. Die Wirklichkeit hat keine Chance, von ihnen tatsächlich wahrgenommen
        zu werden. Denn darum geht es: Wahrnehmung kommt von Wahrheit, wo aber keine Wahrheit
        möglich ist oder nicht mehr, da kann man auch nicht mehr wahr-nehmen.
 
      - Ob man damit schuldfähig ist, bleibt im Roman offen. Doch die Antwort wird
        "ja" lauten müssen, das zeigen ja gerade ihre Geschichten: für die ersten
        Lügen sind sie selbst verantwortlich und damit auch für deren Konsequenzen, mit
        unschuldigen Opfern. Ich zitiere Vaclav Havel (aus einer Rede anlässlich eines
        Kolloquiums in Prag, zitiert in "Le temps de lEglise" 10/1993, S. 45; aus
        dem Französischen übersetzt): "Es gibt zwei Sorten von Lügen: Falschinformation
        und die Lüge als Lebenshaltung. Unser totalitäres System überschwemmte uns mit beiden
        Formen der Lüge... Durch eine diabolische Drehung lud das System die Verantwortung für
        die öffentlichen Angelegenheiten allen auf. Jeder wurde für verantwortlich erklärt,
        womit allerdings Verantwortlichkeit so vollkommen verwässert wurde, dass schließlich
        niemand mehr für die Verbrechen des Kommunismus verantwortlich gemacht worden ist." 
 
      - "Was bedeutet schon Wahrheit?", steht offen am Ende dieses Buches und fragt
        uns an. Noch einmal Vaclav Havel: "Reue und Buße bestehen darin, die Dinge bei
        ihrem Namen zu nennen, ein bisschen so wie in der Beichte. Man muss sich hüten, sich
        selbst zu belügen, sondern sich statt dessen bemühen, die Vergangenheit zu benennen,
        selbst wenn das unangenehm ist. Reue und Buße verlangen einen gewissen Mut ab. Sie sind
        unbedingt notwendige Handlungen."
 
      - Der Roman von Monika Helmecke scheint mir wie eine literarische Illustration zu diesen
        aufrüttelnden Worten von Havel zu sein. Darin besteht schließlich seine Aktualität,
        nicht nur so viele Jahre nach der Wende noch, sondern auch weiterhin. Wahrheit und Lüge,
        Mut und Feigheit und die gesellschaftlichen Bedingungen, die die eine oder die andere
        Wirklichkeit begünstigen, das sind Themen, die uns Menschen stets interessant und wichtig
        bleiben werden.
 
      - Und da ist schließlich das "Monika-Helmecke-Element", wo mit steigender
        Spannung und Intensität der Erzählung, die Geschichte fast unmerklich ins Phantastische
        abhebt, ins Skurrile, leicht oder ganz Verrückte. Ein wenig wie das Flugzeug auf der
        Startbahn, es wird immer schneller und schneller, man wartet auf den Moment, wo man die
        Bahnhuckel endlich nicht mehr spürt und dann  ist der Moment vorbei: man ist nicht
        ganz sicher, ob er es wirklich ist; doch, doch, man fliegt. In ihrem neuesten Roman
        scheint mir das Abheben wieder einmal besonders gut geglückt zu sein.
 
     
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